Interview mit Stadtarchivar Werner Mühlhäußer zu seiner Ausstellung zur 1100-Jahrfeier
von Manuel Grosser
Auch vor hundert Jahren wussten die Gunzenhäuser zu feiern! – Interview mit Stadtarchivar Werner Mühlhäußer zu seiner Ausstellung zur 1100-Jahrfeier Gunzenhausens im Jahr 1924
Das Jubiläum der ersten Erwähnung von Gunzenhausen wird nicht zum ersten Mal groß gefeiert! Im Jubiläumsjahr 2023 wollte Stadtarchivar Werner Mühlhäußer auch auf die Festlichkeiten zum 1100-jährigen Jubiläum aufmerksam machen. Damals haben die Gunzenhäuser richtig aufgetrumpft: Es gab ein großes Vorbereitungskomitee und man baute eigens eine Jubiläumshalle, die dann jahrzehntelang als Turnhalle und als Festhalle für die Kirchweih genutzt wurde. Im Interview erläutert Ausstellungs-Macher Werner Mühlhäußer, welche Informationen und Exponate er im Stadtarchiv Gunzenhausen zum Jubelfest vor 99 Jahren aufgetan hat.
Eine schöne Ausstellung ist Ihnen zur 1100-Jahrfeier gelungen, Herr Mühlhäußer: 23 reich bebilderte Informationstafeln, Urkunden und weitere Exponate, die in der Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen bis Mitte Juni zu sehen sind. Schon beim Jubiläumsplakat fällt auf: Im Jahr 1924, war das nicht ein Fehler der damaligen Stadtoberen?
Mühlhäußer: Nein. Die Vorgeschichte dieser Feier beginnt im Jahr 1922 mit einem Brief des emsigen Heimatforschers und späteren Ehrenbürgers Hans Bach. Darin schreibt er an den Stadtrat, dass es im Jahr 1924 die 1100ste Wiederkehr der Ersterwähnung Gunzenhausen zu feiern gelte. Tatsächlich ging er irrtümlicherweise vom Jahr 824 als Ersterwähnung aus, wie es in alten Chroniken behauptet wurde.
In unserer Ausstellung befindet sich aber doch ein ausgezeichnetes Faksimile der Ersterwähnungs-Urkunde mit eindrucksvollen Siegel und gezeichnet im Namen des „allerglorreichsten“ Kaisers. Diese Urkunde kannten die Chronisten wohl nicht?
Mühlhäußer: Der Initiator Hans Bach kannte sie nicht, denn aus diesem historischen Dokument wird klar: Kaiser Ludwig der Fromme ließ die Urkunde im Jahr 823 ausstellen. darin wird das Kloster „Gunzinhusir, am Altmühlflusse gelegen“, dem bedeutenderen Kloster Ellwangen übereignet. Schon damals – wie heute – wurde die Urkunde im Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrt. Nachdem die Heimatforscher Heinrich Eidam und Pfarrer Claus dies klargestellt hatten, war dann das richtige Datum bekannt.
Nichts desto trotz entschloss sich der Gunzenhäuser Stadtrat, die 1100-Jahrfeier auf das Jahr 1924 zu verlegen, wegen der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der jungen Weimarer Republik. - Zu diesem Zeitpunkt machte ja eine extreme Geldentwertung den Menschen zu schaffen.
Haben damals die örtlichen Heimatforscher die Feierlichkeiten zum Stadtjubiläum initiiert?
Mühlhäußer: Genau. Die Initialzündung kam definitiv von Hans Bach. Im Januar 1924 begannen dann die Planungen. Es wurden acht Ausschüsse gebildet, in denen sich 56 Mitglieder um eine erfolgreiche Feier an fünf Festtagen kümmerten. (Mühlhäußer schmunzelt) Für die Organisation der diesjährigen 1200-Jahrfeier mit einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm für das ganze Jahr sind lediglich drei städtische Mitarbeiter zuständig: der Pressereferent Manuel Grosser, der Leiter der Touristik Wolfgang Eckerlein und ich als Stadtarchivar. Das ist schon ein krasser Unterschied!
Im Vorfeld der damaligen Festivitäten wurde in Rekordzeit von drei Monaten die „Jubiläumshalle“ errichtet, die sicher die älteren Gunzenhäuserinnen und Gunzenhäuser als Turnhalle und Bierhalle zur Kirchweih kennen.
Da gibt es ja ein erstaunliches Dokument: Am 1. Juli 1924 war die Halle fertig, am 13. Juli 1924 begann die Feier. Wie sah denn nun das Festprogramm vor 99 Jahren aus? Startete das Stadtjubiläum mit Maßkrug-Stemmen und Prosit-Singen in der nagelneuen Halle?
Mühlhäußer: Selbstverständlich nicht! Es gab an den fünf Tagen, vom Samstag dem 12.7. bis zum Mittwoch, dem 16. 7.1924 die unterschiedlichsten Programmpunkte: Der erste Tag begann mit dem Jubiläumsschießen und die Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung wurde in der Jubiläumshalle eröffnet. Das Ganze war schon eine große Sache: Die Sommerferien der Schulkinder wurden um einen Tag vorverlegt, weil das Schulhaus am Marktplatz (das heutige Sparkassengebäude) als Massenquartier zur Übernachtung der zahlreichen auswärtigen Gäste umfunktioniert worden war. Im Anschluss wurde die historische Ausstellung im damaligen Heimatmuseum am Marktplatz (heute Kaufhaus Steingass) eröffnet. Das Prunkstück schlechthin war in der Ausstellung die Original-Urkunde mit dem kaiserlichen Siegel Ludwig des Frommen.
Aha, das war also die Leihgabe des Stuttgarter Staatsarchivs. Warum haben wir in Gunzenhausen zum 1200-er Jubiläum das Original nicht vor Ort? … Jetzt gucken Sie aber zerknirscht!
Mühlhäußer: Ich habe ein Leih-Ersuchen an das zuständige Archiv gestellt. Diese Bitte wurde abgelehnt. Es ist aus konservatorischen Gründen nicht mehr gestattet, ein solches Dokument auszuleihen.
Zurück zum einstigen Festprogramm: Haben wir den ersten Tag mit der eindrucksvollen Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung mit 61 Ausstellern und Produkten vom Futterdämpfkessel der Firma Loos bis zum Pelzmantel schon komplett?
Mühlhäußer: Nein. Krönender Abschluss des ersten Tages war der Festkommers mit einem bunten Programm. Mit dabei waren die Stadtkapelle und die beiden Gesangsvereine „Liederkranz“ und „Sängerbund“. Die Heimatdichterin Elisabeth Rohn verfasste einen für unser heutiges Empfinden eigenartigen Festprolog – nachzulesen in der Ausstellung.
Das war ja ein Mammut-Programm! Ging es am zweiten Festtag mit ähnlichem Tempo weiter?
Mühlhäußer: Am Sonntag begann der Tag mit einem Festgottesdienst. Später hatte als einer der Höhepunkte der Schäfertanz seine Premiere. 16 Paare waren dabei und die Choreographie des Tanzes stammt von einem echten Schäfer, einem gewissen Meyer, den alle nur „Wutla“ nannten. Hans Bach hatte die Idee dazu und es gibt in der Ausstellung ein paar schöne Fotografien.
Aber das war noch nicht alles an diesem Tag: Am Nachmittag startete der „historische Festzug“ mit 32 Gruppen an der Nürnberger Straße. Damals strömten Tausende von Besucherinnen und Besuchern in die Stadt. Dazu gibt es zwei große Schautafeln in der Ausstellung.
Und wer jetzt noch nicht müde war, konnte im Adlerbräu-Saal das Heimatschauspiel „Kreuz im Altmühltal“ genießen. Das Stück, verfasst vom Gebereibesitzer Gustav Schneider, war schon 1922 ein Publikumsrenner und die Aufführung auch diesmal wieder bis auf den letzten Platz ausverkauft.
Eine solche Aufführung des aus einem Sagenstoff entstandenen Heimatspiels steht ja auch im aktuellen Jubiläumsjahr auf dem Programm. Welche weiteren Highlights gab es 1924?
Mühlhäußer: Die Landwirtschaftsausstellung lief ja an allen fünf Tagen und zog die Bevölkerung der umliegenden Orte nach Gunzenhausen, es gab mehrere Preistierschauen mit Prämierung besonderer Zuchttiere. Als zweites Heimatschauspiel wurde das von Hans Bach verfasste Stück „Sternwirts Töchterlein“ aufgeführt, ebenfalls ein großer Publikumserfolg.
Am letzten Haupt-Festtag, dem Mittwoch 16.7.1924, sorgte der einzigartige Kinder-Festzug für dicht gedrängte Menschenmassen entlang der Straßen. Die Feierlichkeiten wurden mit einem fulminanten Brillant-Feuerwerk mit „Pfauenrädern, Schlangenpyramiden, Leuchtkugeln, Steigraketen, bengalischer Beleuchtung“ beendet. Mit vielen „Ahs“ und „Ohs“ wurde am Ende die Jubiläumszahl 1100 am Nachthimmel bewundert. So etwas hatte die Stadt noch nicht gesehen.
Das wurde ja – wie man in Franken sagt – „ganz schee viel Geld nausghaut“. Wie sah damals die Festbilanz aus?
Mühlhäußer: Die Stadt Gunzenhausen hatte damals 6000 Einwohner und es kamen während dieser Festtage 18000 Gäste nach Gunzenhausen. Berechnungen ergaben, dass diese damit 54 000 Goldmark – das war eine stabile Währung nach der Inflation - in die Stadt gebracht hatten, Gewerbe und örtlicher Handel profitierten davon. Auch der Kämmerer der Stadt Gunzenhausen konnte sich über ein sattes Plus freuen: 25119,12 Goldmark an Einnahmen standen 22 426,22 Goldmark an Ausgaben gegenüber. Angesichts dieses satten Plus tat sich der Stadtrat leicht mit der Entscheidung, zur Erinnerung an diese erfolgreichen Festtage ein farbiges, bleiverglastes Jubiläumsfenster für den Sitzungssaal des damaligen Rathauses in Auftrag zu geben.
Die Ausstellung „Die 1100-Jahrfeier Gunzenhausens im Jahr 1924“ des Stadtarchivars Werner Mühlhäußer ist bis zum 19. Juni 2023 in der Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen in der Luitpoldstraße 13 zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch und Freitag 11-18 Uhr, Mittwoch 11-20 Uhr und Samstag 10-13 Uhr.